Geschichte

Vom Beginn der Ära Sturmvogel anno 1932 bis zum heutigen Tag

 
Die Stammes-Saga der „Sturmvogel“-Pfadfinder

„Zwei junge Krieger an den Ufern des grossen Sees beklagten den Untergang des roten Volkes und schwuren bei Manitou, einen neuen Stamm zu gründen. Ehre (Honor), Recht (Ius) und Pflicht (Labor) sollten seine Grundlagen bilden. „HIL“ wurde der Gruss des jungen Stammes „Hilia“. Dieser wurde ein Hort des männlichen Stolzes, der unverbrüchlichen Treue, der harten Zucht, des kämpferischen Geistes.“ So schildert Kurt Rickenmann (Kuri) die Gruppe der fünf verschworenen jungen Freunde, die 1931 in wöchentlichen geheimen Zusammenkünften, geprägt auch von der Indianerromantik (Karl May), über Gott und die Welt diskutierten.

 

Die Gründung der Abteilung „Sturmvogel“ am 24. April 1932

Durch seinen Lehrmeister bei der Thurgauer Kantonalbank über den Geheimbund zur Rede gestellt, wich Kuri der Antwort aus, indem er die „Hilia“ als Ableger der Pfadfinderbewegung ausgab. Dies führte zur Gründung der Abteilung „Sturmvogel“ am 24. April 1932 unter der Leitung von Kuri. Die neue Abteilung zählte beim Gründungsakt auf dem Schlossbüel (beim Loh) schon 25 Buben, die auf die drei Fähnlein Falk, Panther und Marabu aufgeteilt wurden.

Zur Vorbereitung ihrer neuen Aufgabe radelten die Gründer vorher Samstag für Samstag nach Amriswil, um sich an den Übungen der dortigen Pfadfinder die Bewegung überhaupt kennenzulernen. Durch einen Vortrag über die Pfadfinderbewegung und eine Einladung zu einer Einschreibung der Kinder in die neue Abteilung wurde die Bevölkerung von Kreuzlingen auf die Neugründung vorbereitet. Die heimlichen Revolutionäre riefen eine Elternkommission ins Leben, welche die Abteilung nach aussen vertreten sollte, ein Schritt der doch von Reife zeugt.

 

Die Anfänge

Die junge Abteilung brauchte inneren Halt, hatten die Pfadfinder höhnische Blicke von Kameraden, die Konkurrenz anderer Jugendorganisationen zu ertragen oder die misstrauischen Blicke von unwissenden Erwachsenen, wenn die Pfadfinder stolzen Schrittes in Uniform durch die Strassen Kreuzlingens marschierten.

Unter der sehr straffen Führung von Kuri wurde die Abteilung rasch zu einer leistungsbetonten Jugendbewegung mit militärischer Prägung, wurden die Führer an unzähligen Abenden und Wochenenden in Nachtmärschen, Kartenleseübungen und strengen Prüfungen herausgefordert. Die gemeinsam ertragenen Strapazen schmiedeten die Buben zu einem festen Freundeskreis zusammen.
Höchstbestand: 65 Mann.

In der Abteilungszeitschrift „Sturmvogel“ vom 29.4.1933 schreibt Kuri: „Jungens, mit festem Schritt haben wir ein Jahr in der Abteilung durchmessen und ein Jahr für die Ideen Baden-Powells gekämpft. Oft ging es hart auf hart, doch guter Wille führt zum Sieg. Verachtend schauten wir auf Hohn und Spott und standen treu zu unserer Fahne. Gesetz, Wahlspruch und Versprechen sind mehr als hohle Worte. Wir lehrten eine grosse Sache: das Gehorchen, und dies zum Wohl der Gemeinschaft….
Doch musst du nicht vergessen, es ruft auch die Pflicht, die Pflicht gegenüber dem Elternhaus und der Schule.“

Im „Sturmvogel“ vom 20.10.1933 erliess Kuri den ersten Abteilungsbefehl. Dieser regelt das Antreten, das äussere Benehmen, die Uniform, (Sauberkeit, Einheitlichkeit, u.a. braune Socken mit doppeltem roten Rand, hohes Schuhwerk), die Ausrüstung und die Einstellung jedes Einzelnen zur Abteilung.

1934 findet zum ersten Mal in Kreuzlingen die Landsgemeinde der thurgauischen Pfadfinder statt, eine Anerkennung für die junge Abteilung.
1936 ziehen Kuri und Pawe (Paul Wefel) zur Weiterbildung nach Neuenburg. Sie werden zu „Sturmvogel-Ehrenführern“ (SEF) ernannt.

 

Die STAPO

Kuri und Pawe wollen die Beziehungen zu ihrem Kind, dem „Sturmvogel“, weiter pflegen und gründen daher die STAPO (Sturmvogel Altpfadfinder-Organisation ), die bis heute, wenn auch unter neuem Namen weiter besteht. Die STAPO-POST, das meist monatlich erscheinende Informationsblatt, dient als Bindeglied unter den STAPO-Leuten und wird – vor allem in den Kriegsjahren 1935-45 – zu einem interessanten Forum für die Auseinandersetzungen um Stellung und Haltung der Altpfadfinder untereinander, aber auch gegenüber dem lokalen und weltweiten Zeitgeschehen, z.B. im Thema „Soldatentum und Sturmvogelidee“.

Die Auseinandersetzungen um den Geist der STAPO enden 1947, in der Nachkriegszeit also, am alljährlich stattfindenden „Grossen STAPO-Ring“ mit der Annahme eines Vorschlags, in Zukunft einfach als Altpfadfinder-Verband zu wirken, was Kuri schon im Lauf der Kriegsjahre als Tendenz bekämpft hatte. Die lebendige Gemeinschaft sinkt für ihn zu einem Verein ab. Dies bedeutet für ihn eine Trennung von seiner persönlichen Überzeugung, die als Ziel ein Lebenspfadfindertum beinhaltet.

Der Zusammenhang unter den Ehemaligen äusserte sich nicht nur in regelmässigen Treffen und gemeinsamen pfaderischen Aktivitäten, zu denen auch die STAPO-Bälle gehörten. An den Orten ihrer beruflichen Tätigkeit engagierten sie sich als Führer in bestehenden Abteilungen oder gründeten gar neue. In Kreuzlingen, Neuenburg, Zürich und Bern wurden Cafés als Treffpunkte bestimmt, in denen sogenannte „Spurenblätter“ auflagen, in die man sich bei Besuchen eintragen sollte. Sie bilden heute noch erheiternde Vers- und Karikatursammlungen.

 

Im Blick der Nachbarn

Der Romanshorner AL Fritz Müller, 1939 Meuteleiter bei „Sturmvogel“, schreibt 1941: „Wie ein Aussenstehender den „Sturmvogel“ beurteilt“: „Alles, was mit „Sturmvogel“ zusammenhängt, atmet am Cliquengeist, der von oben nach unten eingeimpft wird. Alle Pfadfinder sind Brüder, aber „Sturmvogel“-Pfader sind ganz besondere Musterbrüder: immer etwas anderes, etwas eigenes! Pfadfinderische Gesinnung zeigt sich weder im Taktschrittklopfen noch im Clairongeschmetter. Zuerst kommt „Sturmvogel“ und lange nachher die Pfadfinder-Weltbrüderschaft.“
Darauf antwortete Kuri: „Eine Gemeinschaft, die nicht mit Hartnäckigkeit Elite sein will, bleibt auf dem Niveau der Masse.“

 

Zeit der Bewährung
In den Jahren 1941 und 42 leitete Louis Sauter (Losa) die Abteilung sehr autoritär und steigerte den Bestand auf ungesunde 150 Mitglieder, denen die notwendigen fähigen Führer fehlten. Die STAPO brach die Beziehungen zu Losa ab, nicht aber zur Abteilung „Sturmvogel“, und gründete in Tägerwilen eine Gegenabteilung „Rheinadler“, die drei Jahre bestand.

Dem Kantonalverband gelang es, den Konflikt zu schlichten. Paul Wefel (Pawe) übernahm es, die doch angeschlagene Abteilung wieder auf den Kurs von Bi-Pi zu führen.

 

Verschiedenes

1945 gründete die Elternkommission die Einsetzung einer Wolfsführerin. Eveline Arber-Wolfer hatte als erste einigen Spott zu ertragen.
1963 erscheint wieder die Abteilungszeitung „Der Sturmvogel“, der dann durch den „Seetüfel“ ersetzt wird, herausgegeben gemeinsam mit den Pfadfinderinnen der Abteilung „Seemöve“, mit denen immer mehr zusammengearbeitet wird.

Äusserlich zeigt sich der innere Wandel auch in der Namensgebung der einzelnen Pfadfinder, indem Phantasienamen an die Stelle der militärischen Abkürzungen treten.

Geschrieben von Jean-Pierre Seiterle (Pise) im Jahr 2002, anlässlich „70 Jahre Pfadfinderabteilung „Sturmvogel“ Kreuzlingen.